τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 2. Juli 2015

In der Metaphysik lesen (1018b 9 – 1018b 14)

Wir fragen uns, ob oder inwieweit unser Text „logisch“ komponiert ist oder eher zufällig zusammengewürfelt erscheint. Diese Frage kann man in bezug auf das gesamte Buch stellen, das aus 14 „Büchern“ besteht. Das Buch V, das „Wörterbuch“, erscheint da doch nur so eingeschoben. Und selber enthält es 30 deutlich abgesetzte Abschnitte, wobei 9, 10 und 11 nicht jeweils einen ordentlichen Begriff behandeln, sondern jeweils mehrere zusammengehörige irgendwie adjektivische Bestimmungen.

Nun also „Früher, später“. Wir siedeln diese Begriffe auf der Zeitachse an, Aristoteles hingegen nicht nur in der, sondern auch in einem logischen Raum oder in der Dimension der Orte. Insofern würde sich die Übersetzung „erster“ bzw. „letzter“ nahelegen. Das Erstere wäre zunächst das, was in einer Gattung den Anfang bildet oder dem Anfang näher steht – entweder der Natur nach oder in irgendeiner Beziehung; dem Ort nach ist das erstere, was einem natürlichen Ort oder einem gewählten Ort näher ist; ein natürlicher Ort wäre ein mittlerer oder ein entferntester. Ein mittlerer Ort im aristotelischen Sinn wäre die Erde, ein entferntester Ort wäre der „erste“ oder „äußerste“ Himmel.

Mit diesen beiden von Natur aus hervorgehobenen Orten, mit der Koexistenz von Geozentrik und Heliozentrik, deutet sich an, dass Aristoteles Anthropozentrik und Theozentrik verbindet, theoriegeschichtlich protagoreisches und platonisches Denken. Nach dem kopernikanischen Sieg des Heliozentrismus über den Geozentrismus, der etwa von Edmund Husserl im 20. Jahrhundert in Frage gestellt worden ist, lässt sich eine kosmologische Polarität oder Balance annehmen, die auch aristotelisch gedacht werden kann.

Sofern sein philosophisch konstruierter Gott im Kosmos verortet werden kann, würde er dem äußersten Himmel zugeordnet werden. Das wäre denkbar, weil er diesen Gott ohnehin „physikalisch“ definiert: als unbewegten Beweger. Diese rein physikalische Gottesdefinition geht natürlich in die Richtung einer „Physik von allem“ (mit welcher ich sympathisiere).[1]

Woran sich die Frage anschließen ließe: gibt es auch eine rein physikalische Definition des Menschen?

Nächste Sitzung: 7. Oktober 2015

Walter Seitter


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Sitzung vom 1. Juli 2015 



[1] Siehe Walter Seitter: Physik des Daseins. Bausteine zu einer Philosophie der Erscheinungen (Wien 1997); Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002); (Meta)physics of Media, in: B. Herzogenrath (Hg.): mediamatter (New York – London 2015)