τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 3. Februar 2014

Metaphysik, Ontologie, ...


Betrachtet man noch einmal die Lektüren und Überlegungen der letzten Wochen, dann weisen sie in eine bestimmte Richtung, die nicht von vornherein zu erwarten war.

Die neue Definition der „gesuchten Wissenschaft“ im Buch IV scheint ihre Benennung als „Ontologie“ nahezulegen. Die ersten Ausführungen galten der multiplen Sagbarkeit des „Seienden“, die über das Wesen als das „eigentlich Seiende“ hinausgehend auch die Akzidenzien sowie einige noch einschneidendere Seinsmodalitäten betreffen. Aber dann wurden anscheinend reine Sprachgebräuche thematisiert und es drängte sich die Frage auf, ob nicht doch die Bezeichnung „Metaphysik“ geeigneter sei, der gesuchten Wissenschaft eine Sachhaltigkeit zu unterstellen (und zwar in der Richtung der ersten Ursachen, die wir lieber die letzten Ursachen nennen). Daher habe ich ein paar Sätze von Christos Giannaras herbeizitiert, der dem „Westen“ vorwirft, eine über die „Physik“ hinausgehende „Metaphysik“ aufgegeben zu haben – wobei man diese am ehesten mit göttlicher Realität assoziiert. Doch wenn er sich dann dem Osten zuwendet, der die „Metaphysik“ angeblich nicht aufgegeben hat, spricht er von „metaphysischer Suche“, die sich in bestimmten kulturellen Leistungen realisiere – und diese faßt er theoretisch mit dem Begriff tropos zusammen, der keine höhere Realität meint, sondern das Wie gegenüber dem Was betont. Das Wie erscheint als Zusammenfassung jener Seinsmodalitäten, von denen das Wesen auch eine ist – aber eben nur eine. Die Qualität des tropos scheint in der Gesamtheit der Modalitäten zu liegen, die sich gerade nicht auf eine von ihnen reduziert – auch nicht auf die „erste“.

In der Folge setzt Aristoteles seine Gliederungsaktion fort: er gliedert in Gattungen, Arten, Teile und es kommt offensichtlich darauf an, die Glieder zu unterscheiden aber auch zusammenzuhalten, denn nur zusammen bilden sie die Vielfachheit oder Mannigfaltigkeit, auf die es Aristoteles ankommt.

Und jetzt verbinde ich diese Gedanken mit einem neuen Lektüreergebnis. Im Jahre 1430 hielt der noch junge Kleriker Nikolaus von Kues vor dem Hof des Trierer Erzbischofs und Kurfürsten eine Weihnachtspredigt. In der er die Trinitätslehre philosophisch zu untermauern versuchte. Er sagte, daß Gott als Tätiger gedacht werden müsse und zwar als höchst vollkommener Tätiger. Da seien notwendigerweise drei Aspekte impliziert und die heißen generell agens, auf Neudeutsch Agent oder Subjekt, sodann das agibile also Objekt, und drittens die actio als Vollzug, die gehe aus den beiden erstgenannten hervor. Auf der höchsten Vollkommenheitsstufe, nämlich der göttlichen, müsse jeder Aspekt die höchste Realitätsstufe erhalten – die Person. Die drei Aspekte heißen also deificans, deificabile, deificatio – theologisch gesagt: Vater, Sohn, Geist.

Worauf es mir ankommt, ist die innere, formale Struktur dieser Trinitätskonzeption, die Nikolaus übrigens von Raimundus Lullus übernommen hat. Kurt Flasch, den ich hier referiere, betont, daß mit der Gleichberechtigung der drei Aspekte das Substanzkonzept dynamisiert ist, der Macher ist nicht mehr die herrschende Figur, das Machbare bzw. Gemachte ist ebenso wichtig wie das Machen selbst. Die Tätigkeit ist nicht mehr bloß ein Akzidens an der Substanz des Tätigen. Damit werde die „Ontologie des Aristoteles“ entscheidend kritisiert bzw. aufgegeben.[1]

Hier ist zurecht von „Ontologie“ die Rede. Denn das Problem liegt gar nicht darin, daß von Gott die Rede ist, sondern darin, daß das Verhältnis zwischen den Kategorien in Frage gestellt oder umgeworfen wird. Und diese Fragestellung hat Aristoteles selber in dem Satz über das Wesen, den Weg ins Wesen, die Beraubung, die Entstehung, den Untergang, die Verneinung aufgeworfen. Eine rücksichtslose Vervielfältigung der Modalitäten, die dem Wesen zwar seine Erstheit nicht bestreitet, ihr aber doch die Sicherheit und Ruhe stört. Und in der Poetik hat Aristoteles die Verhältnisse auf den Kopf gestellt: die Götter wurden mit leichter Hand eliminiert und die Menschen mit einiger theoretischer Kraftanstrengung abgesetzt.

Ontologie als Aufstellung, Infragestellung oder Umstellung der Modalitätenordnung.

Walter Seitter






[1] Siehe Kurt Flasch: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung (Frankfurt 1998): 24ff. 

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