Wir greifen auf den Satz in 999b 24 zurück; auf den Schlußteil des Satzes, der „nur“ ein Fragesatz ist, „und wie ist das Konkrete diese beiden (nämlich die Wesenheit und der Stoff)?“; und interessieren uns nur für die grammatische Form des Satzes: Subjekt im Singular, Prädikatsverb im Singular und Prädikatsnomen im Plural (obwohl nur zwei und nur pronominal ausgedrückt). Im Deutschen müßte das Prädikatsnomen ebenfalls im Singular stehen: Subjekt und Prädikatsverb „regieren“ oder „fixieren“ die Zahl des Prädikatsnomen. Im Griechischen hingegen kann das Verb „sein“ sich so dehnen oder spreizen, daß es den Übergang vom Singular zum Plural vermittelt. Allerdings handelt es sich hier um einen „schwachen“ Plural, einen Neutrum-Plural und der regiert auch als Subjekt die Singularform des Verbs. Die asexuellen Dinge werden nur als „ein Ding“ behandelt: als ein Sachverhalt, als eine Menge von Dingen. Es sieht so aus, als hätten die asexuellen Dinge eine viel schwächere Eigenheit: für die Satzbildung verschmelzen sie immer schon zu einem Gesamten.
Was hier von der
griechischen Sprache gesagt wird, geht in dieselbe Richtung, die Aristoteles
mit seinen Ausführungen über Zahl und Art der Prinzipien andeutet (9. Aporie):
daß das antike Denken – ob nun aristotelisch oder allgemein-sprachlich – in
manchen Punkten von dem unsrigen dermaßen abweicht, daß es für uns nur schwer
zugänglich ist. Im übrigen handelt es sich hier um die Explikation einer
Aporie, nicht um deren Beantwortung.
10. Aporie: haben die
vergänglichen und die unvergänglichen Dinge dieselben Prinzipien? Der Schule um
Hesiod und den Theologen hält Aristoteles vor, sie hätten nur bedacht, was
ihnen selber glaubhaft schien und wenig Rücksicht auf uns genommen. Da zwischen
ihnen und „uns“ mindestens zwei oder drei Jahrhunderte liegen, erscheint die
aristotelische Rüge doch sehr streng. Sie scheint vorauszusetzen, daß es damals
schon möglich gewesen wäre, über die seinerzeitigen Denkgewohnheiten
hinauszugehen: also unvergängliche Denkleistungen zustandezubringen – hier
darf, nein muß man an die Mathematik denken. Was sie gerade mit ihren Annahmen
über die ewigen Götter nicht taten – so Aristoteles. Falls diese in ihrem
göttlichen Sein von Nektar und Ambrosia abhängig waren, wären diese beiden
Nahrungsmittel „Ursachen“ der Götter gewesen. Da sieht Aristoteles eine
Unstimmigkeit: solche Götter können gar nicht ewig sein.
Dem Einwand ließe sich
entgegenhalten, daß die Götterspeisen in einem ewigen Kosmos ewig kopräsent
bzw. „nachwachsend“ zu denken wären. Und bzw. aber: die Autarkie und die
Allmacht, ganz zu schweigen von der Ewigkeit der Götter: das waren schon in
jener Volksreligion Huldigungsübertreibungen, die einerseits notwendig waren,
um die Götter zu erhalten (die also auch von den Menschen abhängig waren), die
andererseits aber nie ganz stimmten.
In einem seiner vielsagendsten
Texte, im Kapitel „Vom Barock“ im Seminar XX, macht Lacan den Göttern
das Kompliment, sie seien doch „einigermaßen beständige Repräsentationen des
Anderen“ gewesen. Also des sogenannten großen Anderen, welches bei Lacan die
eher dürftige Repräsentation des Göttlichen ist. Aber mehr und mehr hat Lacan
beim großen Anderen Abstriche gemacht: es gebe keine Metaebene und keine
Garantie für diesen Anderen – der nichts sei als das Extrem, welches den
Menschen aus seiner sogenannten Identität heraustreibe und zum Subjektsein
zwinge.
Walter Seitter
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