τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 30. Mai 2013

In der Metaphysik lesen (999a 33 – 999b 24)


Man hat den Eindruck, Aristoteles schlägt sich noch immer mit dem Platonismus (sprich: Ideenlehre) herum. Diejenigen, die annehmen, daß etwas außerhalb der Einzeldinge existiert, laufen Gefahr, in die platonische Irre zu gehen. Gilt das auch für die Annahme, der Stoff (hyle) existiere außerhalb der Einzeldinge? Aristoteles wendet sozusagen gegen seine eigene Position ein, wenn es nur die Einzeldinge gäbe, so gäbe es nur Sinnesdinge und es wäre nichts erkennbar – es sei denn man verstiege sich zur Behauptung, die Sinneswahrnehmung sei selber Wissenschaft (Sensualismus). Und dann gäbe es nichts Unbewegt-Ewiges. Dann aber wäre die Entstehung der Vergänglichen auch nicht möglich – denn die beginne mit einer Entstehung aus Unentstandenem (andernfalls würde die genealogische Kette ins Endlose zurückreichen und damit selber unmöglich werden oder die Entstehung müßte aus einem anfänglichen Nichts hervorgehen (ebenso unmöglich)). Aristoteles betont, was banal erscheinen mag, daß das, was entstanden ist, sobald es entstanden ist, auch ist. Dieses Insistieren mag ein Zugang zu dem sein, was man später „Ontologie“ genannt hat. Dann schiebt er einen anderen unentstandenen Bestandteil eines jeden Seienden ein, nämlich die ousia, die laut Schwarz noch unentstandener ist als der Stoff (wenn so ein Unterschied möglich sein sollte). Wenn es diese beiden Unentstandenen nicht gäbe, hätte nie etwas entstehen können und folglich gäbe es überhaupt nichts.

Diese Gar-Nichts-Hypothese wird von Aristoteles immerhin ausgesprochen und damit liefert er das Stichwort für die berühmte Frage, die sich durch die neuzeitliche Ontologie ziehen sollte (Leibniz-Schelling-Heidegger): Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts? Welche Frage die Annahme zu implizieren scheint, daß die Gar-Nichts-Existenz irgendwie wahrscheinlicher, weil einfacher oder bequemer, wäre – etwa im Sinne der entropischen Wahrscheinlichkeit von weniger Differenz (Information) gegenüber mehr Differenz (Information). Diese Implikation ist von Leibniz selber formuliert worden, der an seine Frage die Erklärung anschließt: „Das Nichts ist einfacher und leichter als etwas.“[1]

Die Modernen neigen dazu, das Sein von etwas überhaupt als völlig kontingent anzusetzen: stattdessen könnte es „ebenso gut“ (mindestens) nichts geben. Die Ontologie bewegt sich ständig im Zusammenspiel mit Meontologie. Heidegger: „ens qua ens ex nihilo fit“. Die jüdisch-christliche Schöpfungslehre hat ihren Anteil an dieser postantiken Auffassung (allerdings nur für die „Schöpfung“).

Für Aristoteles ist das „Sein überhaupt“ nicht kontingent, das Gegenteil davon vielmehr unmöglich. Und als Grund dafür braucht er hier nicht einen fernen unbewegten Beweger, sondern die mit den Dingen ständig kopräsenten Prinzipien Stoff und Form. Unentstandene Prinzipien in der Schöpfung, die aber gerade keine „Schöpfung“ ist – sondern eine insgesamt ewige Welt, die eine Gesamtkontingenz nicht zuläßt, sie immer schon überwunden hat.

Walter Seitter


[1] Es ist das Verdienst von Rémi Brague, vor kurzem auf diesen Punkt hingewiesen zu haben: ders.: Les ancres dans le ciel. L’infrastructure métaphysique (Paris 2011): 62. Er verbindet die Frage mit den ethischen Problemen von Selbstmord und Fortpflanzungsverweigerung und aktualisiert die mittelalterliche Lehre von den Transzendentalien „seiend“, „wahr“, „gut“ zu einer Diagnose der Neuzeit in dem Sinn, daß im 19. Jahrhundert die Frage nach dem Guten dominiert habe, im 20. Jahrhundert die Frage bzw. die Krise des Wahren, während sich im 21. Jahrhundert die ethisch-politische Krisensituation fundamental-ontologisch verschärfen könnte.

Freitag, 24. Mai 2013

Ad Konrad Celtis | Metaphysik (998b 5 – 999b 23)

Konrad Celtis: lesen, reisen, verhandeln, programmieren, gründen, sehen – und all dies in lateinischen Versen fortlaufend formulieren, beschreibend und vorschreibend. Ein lebenslängliches und lebensbildendes Schreiben im staccato der Versdichtung, in den emblematischen Inschriften der Holzschnitt-Bilder. Ein fortlaufendes Auto(bio)graphieren, welches die Form der Traktat-Philosophie verschmäht und daher den Anschein erzeugt, Philosophie überhaupt zu verweigern. Oder aber man sieht in dieser écriture de soi eine andere Form des Philosophierens, eine zusammengestückelte oder bastlerische, eine eher performative oder indirekte (wie sie bei den italienischen Humanisten schon versucht worden ist und bei Montaigne bald eine Prosa-Form finden sollte). Hat Celtis die bereits vorliegende Philosophie eher geographisch bzw. nach Nationen geordnet, so performiert sich sein neuartiges Philosophieren damit, daß es seine Vorschläge und Aussagen „peregrinativ“ transportiert und adressiert: an alle vier Grenzlinien Deuschlands – damit aus Deutschland eine forschende und schreibende, eine erkenntnisfreudige Nation werde. Seinen emotionalen Erkenntnisantrieb oder sagen wir sein Paradigma der Erkenntnismotivation (Erkenntnispolitik) liegt weniger in der Religion sondern in der Erotik, in der Beflügelung durch mehr als eine Liebe. Amores - die poetisch überhöht und publiziert werden. Wer sein „Collegium“ absolviert hat, sollte nicht ein Zeugnis mit Noten bekommen sondern den Lorbeerkranz des Dichters: poeta doctus. Eine erot(izist)ische, hedon(ist)ische, ästhet(izist)ische Erkenntnispolitik?


In der Metaphysik lesen (998b 5 – 999b 23)

Sind die Prinzipien der Dinge eher bei den – physischen – Bestandteilen aufzusuchen oder bei den – logischen – Gattungen? Das war die Frage, die Aristoteles mit dem Kapitel 3 aufgeworfen hatte. Er argumentiert einmal in die Richtung, einmal in die andere. Im großen und ganzen hält er daran fest, daß nur eine der beiden Möglichkeiten in Frage kommt. Denn der „Begriff der Wesenheit“ sei nur einer. Allerdings führt er mit „Wesenheit“ noch einmal einen anderen Begriff ein und unterstellt gleichzeitig, daß Prinzip und Wesenheit wenn schon nicht identisch sind so doch auf einer Linie liegen. Er sagt aber nicht, ob der Begriff der Wesenheit aufseiten der Gattung oder des Bestandteils angesiedelt ist. Abgesehen davon, daß er mit der Einzigkeit der Wesenheit die von mir aufgefundenen ca. neun Synonyme für „Formalursache“ zu strikt univoken Synonymen erklärt (herabsetzt).

Aristoteles stellt sich dann auf die Seite der Hypothese von den Gattungen als Prinzipien, schließt aber gleich die Frage an, ob das für die ersten Gattungen oder für die zuletzt von den Individuen ausgesagten Gattungen zutreffe. Mir scheint der hier eingesetzte und im Plural gebrauchte Begriff atomon für „Individuum“ wichtig zu sein, weil er unserem heutigen üblichen Sprachgebrauch nahesteht und weder in der Übersetzung von Schwarz (sehr wohl aber in der englischen von Tredennick) noch im Aristoteles-Lexikon von Höffe klar hervortritt. Welche aber sind die „ersten“ und die „letzten“ Gattungen? Aristoteles spricht daraufhin von den höchsten und allgemeinsten Gattungen – das sind wohl die „ersten“. Und da bieten sich zwei solcher Gattungen an: das Seiende und das Eine. Die beiden haben jedoch keinen Gattungsunterschied gegeneinander – sie sind gleich allgemein. Also sind sie nicht die Gattungen, die als Prinzipien in Frage kommen.

Wenn das Eine in höherem Maße „prinzipartig“ (eine Adjektivbildung, die zeigt, wie Aristoteles mit den Wörtersorten umgeht) ist, dann dürfte die letzte Gattung eher in Frage kommen.

Zudem scheinen die – spezifischen – Unterschiede in höherem Maße „eine“ zu sein und in noch höherem Maße die Unzerlegbaren und die Individuen und über dem Besser und Schlechter gibt es keine höhere Gattung, vielmehr ist das Bessere jeweils das Frühere also das Prinzipartigere. Die ersten Gattungen könnten nur dann Prinzipien sein, wenn sie außerhalb der Individuen existierten.

Walter Seitter



Samstag, 4. Mai 2013

Perspektiven der Antike

Wissenschafts- und Forschungsminister o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
lädt herzlich zum Science Talk >

Perspektiven der Antike oder Was wir von Hellas lernen können

Montag, 13. Mai 2013 19.00 Uhr
Aula der Wissenschaften Wollzeile 27a, 1010 Wien

Mit Vorträgen von: Prof. Dr. Klaus BARTELS,
Klassischer Philologe und Publizist, Kilchberg bei Zürich
Honorarprofessor Dr. Karl-Wilhelm WEEBER, M.A., Professor für Alte Geschichte an der Universität Wuppertal, Lehrbeauftragter für die Didaktik der Alten Sprachen an der Ruhr-Universität Bochum
o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz TÖCHTERLE, Bundesminister für Wissenschaft und Forschung
Im Anschluss: Podiumsdiskussion
Durch den Abend führt:
ORF-Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher

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Auch die Hermes-Leute werden eingeladen sich zu dieser Veranstaltung anzumelden und einzufinden (U.A.w.g. bis 10. Mai 2013).