τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Sonntag, 21. April 2013

Halbbiographische Anmerkung zur Aristoteles-Sitzung vom 17. 4. 2013

Das Rätselspiel des SZ-Rezensenten Jürgen Busche vom 15. 4., an dem wir uns halbamüsiert beteiligt haben, ließ sich im Nachhinein recht rasch auflösen. Interessanter ist hingegen Busches Textinszenierung, die uns unerwartete Anknüpfungspunkte an unsere eigene Aristoteles-Lektüre liefert.

Der behandelte Gegenstand, also rekonstruierte Heidegger-Seminare zu Platon, Aristoteles, Augustinus, zeigt zuerst einmal ein formales Grundverhältnis an – nämlich „Schule“ –, das sich in Folge hier als eine lange Kette von Lehrer-Schüler-Beziehungen offenbart. Die bekannten Schüler Platon, Aristoteles, Augustinus wurden noch bekanntere Lehrer, deren Denken der Husserl-Schüler Heidegger in seinem Seminar behandelte und dies von seinen Schülern (etwa Ernst Tugendhat) protokollieren ließ. Und das ist nun in einem Band der Heidegger-Gesamtausgabe (vom Heideggerianer Mark Michalski) versammelt, den der ausgewiesene Heideggerianer Busche rezensierte.

Auf welche Art aber wird nun diese Buchbesprechung eröffnet? Mit einem Brief Heideggers von 1954 an die Marburger Pädagogikprofessorin (und ehemalige Geliebte, nicht aber Schülerin!) Elisabeth Blochmann, in dem er einen ,abtrünnigen‘ Schüler heftig attackiert. Der einstige Schüler heißt Karl Löwith, bis zu seiner Emigration 1934 Philosophie-Professor in Marburg.  Durchaus mit Blick auf das ganz anders geartete Ereignis-Denken seines ehemaligen Lehrers verfasste dieser im Tokioer Exil eine maßgebende Untersuchung zur Entwicklung des philosophischen Denkens im 19. Jahrhundert, Von Hegel zu Nietzsche (1941), gewidmet seinem ,anderen‘ Lehrer, Edmund Husserl. 

Der heftige briefliche Ausbruch Heideggers gegenüber seinem philosophischen Kollegen hatte wohl mehrere Ursachen: alte Eifersüchtelei um den gemeinsamen Lehrer Husserl,  Enttäuschung des Lehrers auf die kurz zuvor erschienene, sachliche wie schonungslose  Kritik Löwiths an ihm (Heidegger – Denker in dürftiger Zeit) und neue Eifersüchtelei aufgrund Blochmanns Anfrage zu einer Lehrstuhlberufung Löwiths nach Marburg. All das stand, trotz der erfolgten Rehabilitierung, im Zeichen von Heideggers universitären Außenseitertums im streng versachlichten Nachkriegs-deutschland.

Heideggers diffamierende Äußerungen zu Löwith waren nicht nur politisch (einst „der roteste Marxist“) motiviert, sondern vor allem philosophisch („vom Denken hat er keine Ahnung“). Und so wird im Brief von 1954, und noch spürbar in der Rezension von 2013, einem grundsätzlichen Denken nachdrücklich das Wort geredet, und das heißt zuallererst: tiefe Kenntnis des Griechischen. Demnach wird – das kam auch schon in unseren Aristoteles-Sitzungen zur Sprache – so genannte „Primärphilosophie“ klar von „sekundärer“ Denkarbeit unterschieden, wie Heidegger sie exemplarisch an Löwiths Geschichtsphilosophie festmacht (unmittelbar in Weltgeschichte und Heilsgeschehen, deutsch 1953!).

Es muss jedoch bezweifelt werden, ob systematisierte Begriffsbildungen und auf Originalität abzielende Etymologie, wie sie Aristoteles in die Philosophie eingeführt hat und von Heidegger auf oft manierierte Weise weitergetrieben wurde, ein exklusiv primärer Ausdruck grundsätzlichen Denkens sind. Denn – und gerade das demonstriert Aristoteles – zur geistigen Durchdringung der Gegenwart, zum, auch methodischen, Erkennen des Neuen bedarf es immer auch des bisher Gedachten, also Philosophie-Geschichte.

Horst Ebner

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