Das Rätselspiel des SZ-Rezensenten Jürgen Busche vom 15. 4.,
an dem wir uns halbamüsiert beteiligt haben, ließ sich im Nachhinein recht rasch
auflösen. Interessanter ist hingegen Busches Textinszenierung, die uns unerwartete
Anknüpfungspunkte an unsere eigene Aristoteles-Lektüre liefert.
Der behandelte Gegenstand, also rekonstruierte Heidegger-Seminare zu Platon, Aristoteles,
Augustinus, zeigt zuerst einmal ein formales Grundverhältnis an – nämlich
„Schule“ –, das sich in Folge hier als eine lange Kette von Lehrer-Schüler-Beziehungen
offenbart. Die bekannten Schüler Platon, Aristoteles, Augustinus wurden noch
bekanntere Lehrer, deren Denken der Husserl-Schüler Heidegger in seinem Seminar
behandelte und dies von seinen Schülern (etwa Ernst Tugendhat) protokollieren ließ.
Und das ist nun in einem Band der Heidegger-Gesamtausgabe (vom Heideggerianer Mark Michalski)
versammelt, den der ausgewiesene Heideggerianer Busche rezensierte.
Auf welche Art aber wird nun diese Buchbesprechung
eröffnet? Mit einem Brief Heideggers von 1954 an die Marburger
Pädagogikprofessorin (und ehemalige Geliebte, nicht aber Schülerin!) Elisabeth
Blochmann, in dem er einen ,abtrünnigen‘ Schüler heftig attackiert. Der
einstige Schüler heißt Karl Löwith, bis zu seiner Emigration 1934
Philosophie-Professor in Marburg. Durchaus
mit Blick auf das ganz anders geartete Ereignis-Denken seines ehemaligen
Lehrers verfasste dieser im Tokioer Exil eine maßgebende Untersuchung zur
Entwicklung des philosophischen Denkens im 19. Jahrhundert, Von Hegel zu Nietzsche (1941), gewidmet seinem
,anderen‘ Lehrer, Edmund Husserl.
Der heftige briefliche Ausbruch Heideggers gegenüber seinem
philosophischen Kollegen hatte wohl mehrere Ursachen: alte Eifersüchtelei um
den gemeinsamen Lehrer Husserl, Enttäuschung des Lehrers auf die kurz zuvor
erschienene, sachliche wie schonungslose
Kritik Löwiths an ihm (Heidegger –
Denker in dürftiger Zeit) und neue Eifersüchtelei aufgrund Blochmanns
Anfrage zu einer Lehrstuhlberufung Löwiths nach Marburg. All das stand, trotz der
erfolgten Rehabilitierung, im Zeichen von Heideggers universitären
Außenseitertums im streng versachlichten Nachkriegs-deutschland.
Heideggers diffamierende
Äußerungen zu Löwith waren nicht nur politisch (einst „der roteste Marxist“) motiviert, sondern vor allem philosophisch („vom Denken hat er keine Ahnung“).
Und so wird im Brief von 1954, und noch spürbar in der Rezension von 2013, einem
grundsätzlichen Denken nachdrücklich das Wort geredet, und das heißt
zuallererst: tiefe Kenntnis des Griechischen. Demnach wird – das kam auch schon
in unseren Aristoteles-Sitzungen zur Sprache – so genannte „Primärphilosophie“ klar
von „sekundärer“ Denkarbeit unterschieden, wie Heidegger sie exemplarisch an
Löwiths Geschichtsphilosophie festmacht (unmittelbar in Weltgeschichte und Heilsgeschehen, deutsch 1953!).
Es muss jedoch bezweifelt werden, ob systematisierte Begriffsbildungen
und auf Originalität abzielende Etymologie, wie sie Aristoteles in die
Philosophie eingeführt hat und von Heidegger auf oft manierierte Weise weitergetrieben
wurde, ein exklusiv primärer Ausdruck grundsätzlichen
Denkens sind. Denn – und gerade das demonstriert Aristoteles – zur geistigen
Durchdringung der Gegenwart, zum, auch methodischen, Erkennen des Neuen bedarf es
immer auch des bisher Gedachten, also Philosophie-Geschichte.
Horst Ebner
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