τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Samstag, 26. Mai 2012

Klossowski-Protokoll


In Frankreich gab es bis zum Jahre 1946 die Institution der „Maisons closes“: staatlich zugelassene, ja „privilegierte“ Bordelle, darunter auch luxuriöse Etablissements, zu denen nur gut situierte Herren Zutritt hatten und denen dort keine Wünsche verwehrt wurden.
Der französische Regisseur Bertrand Bonello hat nun einen Film gedreht, der im Deutschen Haus der Sünde heißt (Originaltitel: L’Apollonide (Souvenirs de la maison close)). Es handelt sich um einen Spielfilm, der doch eher eine bestimmte historische Situation – um 1900 – dokumentiert, wobei er sich auf das Sachbuch La Vie quotidienne dans les maisons closes de 1830 à 1930 (1990) von Laure Adler stützt. Der Film schildert ausführlich und opulent den Betrieb so eines Hauses, wobei er sich eindeutig auf die Seite der Mädchen schlägt, die da arbeiten. Es wird ein strenges „Mädchenpensionat“ gezeigt, wo die Mädchen entweder in üppige Damenkleider gesteckt werden oder eben in keine. Wo allerdings ihr Leben nur wenig mit den „Freuden“ zu tun hat, die die Herren dort genießen können. Die Frauen stehen unter dem Druck finanzieller oder medizinischer Probleme, sie sind sogar körperlicher Mißhandlung schlimmster Art ausgesetzt.
Der Film wirkt eher bedrückend, ja schmerzlich. Dennoch erinnert er ein bißchen an eine Fotobildstrecke in La monnaie vivante, die die Atmosphäre eines Luxusbordells ausstrahlt – wo diese Atmosphäre sowohl „artistischer“ wie auch heiterer erscheint. Auch an das Hôtel de Longchamp, das Pierre Klosswoski in den Gesetzen der Gastfreundschaft präsentiert, läßt manches denken – obwohl dieses viel „staatlicher“ und „öffentlicher“ organisiert erscheint. Mädchenpensionat mit gelegentlichem sommerlichem Ausflug in einen Park mit Flußufer – das wiederum erinnert an den Mädchenpark in Frank Wedekinds Mine-Haha (wo die dunklen Seiten mehr im Hintergrund gehalten werden).
Mit einem Wort: Bertrand Bonellos Film nähert sich faktisch der „Utopie“ des Lebenden Geldes – ohne irgendeine utopische Illusion zu nähren.

Walter Seitter

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