τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 7. April 2011

In der Metaphysik lesen (983a 11-23)

7. April 2011

Wozu führt es, wenn man die gesuchte Wissenschaft tatsächlich erreicht bzw. erwirbt? Zum Gegenteil der anfänglichen Verwunderung und Nachforschung, zu Nicht-Verwunderung und Nicht-mehr-Nachforschung. Aristoteles gibt drei Beispiele für Gegenstände oder Situationen, über die man in Verwunderung geraten kann: Wunderapparate, das könnten größere oder kleinere Theatermaschinen sein, Automaten, die irgendetwas Lebendiges simulieren; oder die Sonnenwenden, also die Umkehr der Tagverkürzung oder –verlängerung (21. März oder 22. September), oder die Inkommensurabilität zwischen Seitenlängen und Diagonale des Rechtecks. Die Verwunderung gerade über diese geometrische Tatsache könnte bei uns Erstaunen auslösen – weil wir sie irgendwann in der Schule schon gelernt haben (Pythagoreischer Lehrsatz), weil wir das also schon zu wissen meinen, und andererseits weil sie uns kaum so präsent ist, daß wir uns darüber wundern können. Man muß sich in das Problem schon sehr gründlich und genau hineingearbeitet haben, um da erstaunen zu können. Die Verwunderung ist da der Anfang der Forschung und der Impuls zu weiterer Nachforschung: Neugierde, Interesse, fieberhaftes Weitersuchen. Diese „erkenntnispsychologische“ Dramatik ist allerdings noch harmlos gegenüber der legendenhaft überlieferten erkenntnispolitischen Dramatik, welche mit der Entdeckung der Inkommensurabilität durch Hippasos von Metapont (Geheimnisverrat, Ermordung) verbunden gewesen sein soll.

Umschlag ins Gegenteil durch Nachforschen, Ersetzung der anfänglichen Vorstellungen durch „bessere zweite“ (983a 18): Gaston Bachelards Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes. Beitrag zu einer Psychoanalyse der objektiven Erkenntnis Frankfurt 1987) hat diesen Moment der Wissenschaft zum Thema gemacht.

Aber ist damit über den Erwerb der „gesuchten Wissenschaft“ etwas gesagt? Direkt überhaupt nichts. Denn alle Beispiele stammen aus Wissenschaften, „die es schon gibt“: eine poietische oder Technik-Wissenschaft für die Theaterautomaten, die Astronomie, die man der Physik zurechnen kann, für die Sonnenwenden, und für die Inkommensurabilität die Geometrie, die zur Mathematik gehört.

Heißt das, daß die gesuchte Wissenschaft noch so weit entfernt ist, daß man Beispiele für ihren Verlauf aus anderen Wissenschaften nehmen muß, oder daß die gesuchte Wissenschaft nur „mit“ oder „in“ den anderen Wissenschaften angefangen werden kann. Auch diese Wissenschaften suchen ja Ursachen für Erscheinungen oder Situationen auf. Wodurch unterscheidet sich die gesuchte Wissenschaft von den anderen, die „leichter“ sein dürften? In den letzten Zeilen von Kapitel 2 behauptet Aristoteles, er habe nun die „Natur“ sowie das „Ziel“ der gesuchten Wissenschaft dargelegt. Wirklich? Was er über ihr Gegenstandsfeld gesagt hat, läßt sich folgendermaßen resümieren: die ersten Ursachen und Gründe, und zwar eher wenige, das Gute bzw. das Beste als Handlungsgrund, der Gott (der selber auch Inhaber des gesuchten Wissens ist). Der Leitbegriff dürfte „Ursache“ sein, das Beste und der Gott müßten zu den Ursachen gehören, außerdem könnte es noch – wenige – andere Ursachen geben, bei denen man am ehesten an kosmologische denken mag; für das Gute als Ursache wird von Ivo Gurschler die Zeugung, also die geschlechtliche Vereinigung, als Ursache für neue Lebewesen (Menschen) vorgeschlagen. Sie entspricht tatsächlich dem Ursachen-Begriff und hat außerdem die Nähe zur Zoologie, die man auch Aristoteles unterstellt.

Die Gegenstandsangabe für die gesuchte Wissenschaft hat ein sehr vages Profil aus Kosmologie, Theologie, vielleicht Timologie (Schätzungskunde) – wenn überhaupt.

eHgeH

HH

Walter Seitter

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